Die weltweiten Lockdowns während der Pandemie hatten bekanntlich signifikante Auswirkungen auf die Luftfahrt. Als kommerzielle Flüge von den Airlines wieder in Betrieb genommen wurden, war die Anzahl der Ziele und Frequenzen drastisch geringer als vor der Pandemie. Zudem konnten etliche Destinationen kaum oder nur mit langen Reisezeiten erreicht werden. Erschwerend hinzu kamen Fehlplanungen, zu ambitiöse Flugpläne und Personalmangel bei den Fluggesellschaften. Dennoch benutzten insbesondere Geschäftsreisende das Flugzeug – auch während der Pandemie. Offenbar blieben die internationale Vernetzung und Erreichbarkeit trotz widriger Umstände wichtig. Aber die Geschäftsreisenden setzten dabei nicht mehr unbedingt auf kommerzielle Flüge, sondern vermehrt auf Flüge mit Privatjets.

Das Geschäft macht keine Pause

Die Nutzniesser: Anbieter von Privatjets. Sie konnten in die Bresche springen, als reguläre Airlines viele Ziele nicht oder nur unbefriedigend anfliegen konnten. «Bei Vistajet haben wir eine neue Kundengruppe beobachtet, von denen sich viele, die sich früher für die First Class entschieden haben, der Privatluftfahrt zugewandt haben, weil sie deren Zuverlässigkeit, Flexibilität, Effizienz und Sicherheit zu schätzen wissen», sagt Philippe Scalabrini, Präsident von Europe Vistajet der Eventemotion.

Der Vorteil für die Geschäftsreise im Privatjet, nebst der Zeitersparnis, liegt auf der Hand: Während in Europa Linienfluggesellschaften rund 200 Ziele anfliegen, haben Privatjets die Option, auf gut 2000 Flughäfen zu landen. Der Ad-hoc-Privatjetservice gibt Geschäftsreisenden die Freiheit, ein Flugzeug zu den eigenen Bedingungen zu mieten. So reist man mit völliger Flexibilität: Per Shuttle geht’s direkt zum Flieger, das lange Warten am Check-in entfällt, das Flugzeug kommt zu der bestellten Uhrzeit und wartet auch noch auf den Business Traveller, sollte das Meeting einmal länger dauern. Zudem können die Anbieter auf eine Flotte von tausenden von Flugzeugen zurückgreifen.

Interieur eine Vistajet Privatjets
Edel: Das Interieur eines Jets von Vista. © Vistajet

Beispiel Vistajet: Das Unternehmen hat seinen Sitz in Malta hat eine spezielle Firmenmitgliedschaft entwickelt, die ideal für Unternehmen ist, die Flexibilität und eine optimierte Reiselogistik benötigen und mindestens 50 Flugstunden in zwölf Monaten in Anspruch nehmen. «Unsere Mitglieder fliegen zu einem festen Stundentarif, unabhängig von Ort und Abflugzeit des Fluges. Mit mehr als 1900 Flughäfen in 187 Ländern deckt Vistajet 96 Prozent des Globus ab, und Mitglieder haben die Möglichkeit innerhalb von nur 24 Stunden im Voraus zu buchen», erklärt Philippe Scalabrini.

2022: Rekordniveau erreicht

Die Pandemie ist vorbei, viele Kunden von Privatjets sind geblieben – denn die Zahl der Privatjet-Flüge ist auf Rekordniveau gestiegen. Beispiel Deutschland: 2022 sind so viele Privatjets wie nie zuvor gestartet – insgesamt mehr als 94’000 Starts von Flugzeugen aus dem Business-Segment verzeichnete die Luftkontroll-Organisation Eurocontrol, also rund 260 Flüge täglich, was einem Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Somit machten Privatjet-Flüge etwa 12 Prozent des gesamten Flugverkehrs in Deutschland aus.

In der Schweiz dürften sich ein ähnliches Bild ergeben, schliesslich ist sie die Nummer Fünf Europas betreffend Starts und Landungen von Privatjets. Der Schweizer Anbieter Jet Aviation legt zwar keine Zahlen offen, verweist aber darauf, dass gemäss öffentlichen Daten die weltweiten Geschäftsflüge 2022 im Vergleich zum Vor-Pandemie-Jahr 2019 um 14 Prozent gestiegen sind. «Da die Welt immer stärker vernetzt ist, wird die Geschäftsluftfahrt ein wichtiges Instrument bleiben. Wir suchen weiterhin nach Möglichkeiten, unser Netz und unser Dienstleistungsangebot stets weiterzuentwickeln», gibt Jeremie Caillet, SVP Regional Operations EMEA Jet Aviation, gegenüber Eventemotion Auskunft.

Ein Privatjet steht bereit zum Abflug
Geschäftsreisen in Privatjets haben ein Rekordniveau erreicht. © Shutterstock

Bis zu 180 Prozent Wachstum

Die Businesscharteranbieter meldeten 2022 an der wichtigsten Messe der europäischen Geschäftsluftfahrt in Genf, der European Business Aviation Convention & Exhibition (Ebace), ein enormes Wachstum: So berichtete der Anbieter Netjets, dass die Zahl der Flüge regelmässig 700 pro Tag überschreitet – ein 40 Prozent höheres Flugvolumen als vor der Pandemie.

Mitbewerber Flexjet vermeldete ein Wachstum von 180 Prozent für Europa, und bei Vistajet folgt ein Rekordjahr auf das andere: «2022 war ein weiteres herausragendes Jahr für uns. Die Gruppe verzeichnet weiterhin ein starkes Wachstum bei ihren Abonnementlösungen und Dienstleistungen, mit einem Umsatzanstieg von über 50 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2021», so Philippe Scalabrini, President Europe Vistajet. Dies wurde durch einen Anstieg der verkauften Bruttostunden der Vistajet-Programmmitgliedschaft um 74 Prozent im Jahr 2022 angetrieben, was mehr als dem Dreifachen des Niveaus vor der Pandemie entspricht. «Die starke Leistung spiegelt ein weiteres Jahr mit Rekordflügen in allen Kernmärkten wider, da das Gesamtwachstum der Anzahl an Flügen weltweit um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr anstieg, trotz einer Reihe makroökonomischer Ereignisse.» Gemäss Scalabrini legten die Anzahl Flüge in Europa um markante 69 Prozent zu.

Zehn Millionen Tonnen CO2

Und die Anbieter von Privatjets wollen noch höher hinaus: Die nächste Superlative der Businessjets wurde schon angekündigt. So will die US-Firma Aerion Corporation quasi eine Concorde im Privatjet-Format auf den Markt bringen – der Flieger Aerions AS2 soll mit 1,1 bis 1,4-facher Schallgeschwindigkeit durch die Luft düsen und die Strecke London-New York in gerade einmal vier Stunden schaffen. Derweil veröffentlichte der Rechercheverbund von NDR und Süddeutscher Zeitung unter Berufung auf die Europäische Flugsicherheitsorganisation Eurocontrol kürzlich einen Bericht, indem festgestellt wurde, dass Privatjets im Jahr 2022 europaweit für ungefähr zehn Millionen Tonnen CO₂ Treibhausgas-Emissionen verantwortlich waren. Kleinere Betreiber von Privatjets sind gleichzeitig vom europäischen Emissionshandel befreit, der eigentlich für Luftverkehrsunternehmen obligatorisch ist. Doch nicht nur klimaschädliche CO₂-Emissionen werden von den Jets ausgestossen, sondern auch Stickoxide, Russ und Wasserdampf.

Kein Wunder mehrt sich die Kritik an den Privatjets, die oft als «Spielzeug» der Superreichen und Top-Managern betrachtet werden. Für viele besonders störend: Etliche Geschäftsjets fliegen ohne Passagiere über den Himmel – sie machen gemäss dem Schweizer Anbieter Aeroaffairs sogar rund 40 Prozent der Privatflüge in Europa aus. Aufgrund des Business-Modells ist dies naheliegend, denn das Flugzeug muss sich auf diesem «Empty Leg»-Flug neu positionieren, auf die Basis zurückzukehren oder für neue Passagiere zu einer anderen Destination fliegen. Vor dem Hintergrund, dass Privatjets pro Passagierkilometer zehnmal mehr Treibhausgasemissionen als ein normaler Flug und sogar 50-mal mehr als eine durchschnittliche Zugfahrt in Europa verursachen, ist dies summa summarum sehr viel Wasser auf die Mühlen der Privatjet-Kritiker.

Während der Pandemie wurden Privatjets zur beliebten Alternative gegenüber regulären Airlines. © Shutterstock

Initiativen für mehr Nachhaltigkeit

Doch die Privatjet-Unternehmen sind nicht untätig: Im April 2021 verpflichtete sich Vistajet, sein gesamtes Unternehmen bis 2025 vollständig klimaneutral zu gestalten und damit sein Engagement für Veränderungen zu bekräftigen. «Vistajet fordert die Luftfahrtindustrie auf, ihren Teil zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen, und will die Branche dazu bewegen, über das derzeitige, von den Zivilluftfahrtverbänden und der IATA gesetzte Ziel einer Netto-Null-Emission bis 2050 hinauszugehen», sagt Europa-Präsident Philippe Scalabrini. Nur ein umfassender Beitrag aller Beteiligten könne die Auswirkungen in grossem Umfang reduzieren und einen branchenweiten Wandel herbeiführen, um einen systemischen Wandel voranzutreiben.

Jeremie Caillet von Jet Aviation ergänzt: «Wir sind bestrebt, unseren Kunden eine nachhaltigere Auswahl zu ermöglichen und bieten nachhaltigen Luftfahrttreibstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) weltweit über unser Book & Claim-Programm an – zudem unterzeichneten wir die WEF-Erklärung «Clean Skies For Tomorrow 2030 Ambition Statement» und schlossen uns damit einer Gemeinschaft von rund 100 InteressenvertreterInnen aus der gesamten Wertschöpfungskette der Luftfahrt an, die den Übergang zu einer Netto-Null-Luftfahrt unterstützen und sich zu 10 Prozent SAF bis 2030 verpflichten.

Vistajet treibt seinen Plan für nachhaltigere Luftfahrtlösungen derweil weiter voran und hat eine Vereinbarung mit AEG Fuels über den Kauf von nachhaltigem Flugbenzin (SAF), das von OMV am Flughafen Wien hergestellt wird, bekannt gegeben. Als Vorreiter der Branche integriert Vistajet eine Reihe von Umweltinitiativen in seinen gesamten Betrieb und beschleunigt mit dieser Vereinbarung seinen Weg zur Kohlenstoffneutralität bis 2025. Zu konkreten Massnahmen, um die Treibhausgas-Emissionen der Flotte in den kommenden Jahren zu reduzieren, äussert sich Mitbewerber Globe Air auf Anfrage nicht. Sämtliche Privatjet-Anbieter geben aber an, dass sie ihren Treibhaus-Ausstoss zu 100 Prozent kompensieren würden.

Während dem WEF in Davos war Hochbetrieb der Privatjets – auch auf kürzesten Strecken. © Shutterstock

«CO2-Abgaben sind ein Buchhaltertrick»

«Reine Augenwischerei», sagt hierzu Klara Maria Schenk, Lead Transport Campaigner bei Greenpeace, gegenüber Eventemotion. «CO₂-Ausgleiche sind ein Buchhaltungstrick, um klimaschädliche Emissionen zu verschleiern statt zu vermeiden. Bei der Kompensation tauschen VerursacherInnen ihre Verschmutzung gegen eine ‹Gutschrift› von CO₂, das anders wo absorbiert wird.» Es sei quasi eine Lizenz zur weiteren Verschmutzung im Austausch gegen Emissionsgutschriften, beispielsweise aus Baumpflanzungen oder Naturschutzprojekten, die in Zukunft Emissionen einsparen sollten. Untersuchungen hätten jedoch gezeigt, dass viele dieser Projekte nicht zu tatsächlichen Emissionseinsparungen führen würden. Das Öko-Institut untersuchte im Jahr 2017 im Auftrag der Europäischen Kommission 5000 CO₂-Ausgleichsprojekte – nur zwei Prozent dieser Projekte führten tatsächlich zu einer Reduzierung der CO₂-Emissionen.

WEF in Davos: Es hagelt Vorwürfe

Hohe mediale Wellen schlug eine von Greenpeace International veröffentlichte Studie über Privatjets im Januar 2023. Sie erschien kurz vor dem Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos.

Die Studie zeigte auf, dass im Vergleich zum üblichen Verkehrsaufkommen während des WEF des Vorjahres doppelt so viele Privatjets unterwegs waren, was CO₂-Emissionen verursachte, die etwa 350’000 durchschnittlichen Autos im selben Zeitraum entsprechen. Der kürzeste Flug nach Davos war dabei gerade einmal 21 Kilometer lang.

Klara Maria Schenk von Greenpeace redet Klartext: «Angesichts der globalen Energiekrise und der eskalierenden Klimakrise, ist es an der Zeit, dass Privatjets als umweltschädlichste Verkehrsmittel ein für alle Mal abgeschafft werden.» Es könne nicht sein, dass die «Reichen und Mächtigen in extrem umweltverschmutzenden, sozial ungerechten Privatjets» nach Davos reisten, um hinter verschlossenen Türen über Klima und Ungleichheit zu diskutieren.

«In Anbetracht der Tatsache, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung noch nie geflogen sind, aber unter den Folgen der klimaschädlichen Flugverkehrsemissionen leiden, und dass das WEF behauptet, sich dem Pariser Klimaziel von 1,5 °C verpflichtet zu haben, ist diese jährliche Privatjet-Party eine geschmacklose Meisterklasse der Heuchelei», enerviert sich Schenk. Privatjets müssten der Vergangenheit angehören, und die politischen EntscheidungsträgerInnen sollten mit gutem Beispiel vorangehen, anstatt bei Geheimtreffen mit «Big Business» heisse Luft zu produzieren.

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