Deborah Rothe (32) trat als neue Direktorin der ITB Berlin im Januar 2023 die Nachfolge von David Ruetz an. Die ITB Berlin ist die grösste Reisemesse der Welt. Rothe besitzt einen Abschluss in Betriebswirtschaften mit Schwerpunkt in Messe-, Kongress und Eventmanagement der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sie ist bereits seit 2014 für die ITB Berlin tätig und war ab 2019 als Head of Business Development & Sales für die Weiterentwicklung der ITB Berlin und für den Vertrieb des Aussteller- und Besuchergeschäfts verantwortlich. Sie hat zudem die Entwicklung der B2B Netzwerk-Eventserie «TRLVX by ITB» vorangebracht, die nun fester Bestandteil des ITB-Portfolios ist.

Deborah Rothe © Messe Berlin GmbH

Frau Rothe, Sie hatten ja im März einen etwas besonderen Einstieg, nachdem die ITB Berlin drei Jahre lang nur digital stattgefunden hatte. Wie war es, die Messe wieder vor Ort durchzuführen?

Sehr aufregend, sehr vielseitig und mit vielen grossen Fragestellungen im Raum. 2019 hatte die letzte Veranstaltung vor Ort stattgefunden und 2023 war daher voller positiver Aufregung. Da war auf jeden Fall grosse Neugier: Wie wird die ITB Berlin in diesem Jahr angenommen, wer ist wieder mit dabei und wie wird die Zukunft sein? Natürlich sind wir als ITB Berlin auch Teilnehmer der Tourismusindustrie und schauen daher, wie wir unsere Plattform in Zukunft anpassen können, sodass sie dieser sich ständig wandelnden Branche gerecht wird und sie nach wie vor diese globale Plattform, das sogenannte Familientreffen der Branche, bleiben kann. Von daher habe ich mich sehr gefreut und habe gemeinsam mit dem ITB-Team, dem ich schon lange angehöre, die Tore mit voller Vorfreude geöffnet.

Was war der grösste Lerneffekt in diesen ersten zehn Monaten als Direktorin der ITB?

Dass es nach wie vor einen klaren Bedarf an persönlichen Treffen gibt. Wir haben uns in den letzten Jahren mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob es überhaupt noch Messen und Kongresse braucht oder ob das nicht alles digital abgebildet werden kann. Und für mich war diese Edition im Jahr 2023 ein klares «Nein, kann es nicht». Es braucht physische Veranstaltungen. Es braucht persönliche Begegnungen zwischen den Menschen, um zu networken und um sich austauschen zu können. Auch der informelle Netzwerkaustausch ist essentiell, um Geschäftskontakte nicht nur anzubahnen, sondern auch um bestehende weiter auszubauen, um weiterhin ein Vertrauensverhältnis zu schaffen und über konkrete Themen zu sprechen. Das hat sich für mich als grösstes Thema in diesem Jahr nochmals ganz klar bestätigt.

Gab es auch kritische Stimmen, gerade in Bezug auf das neue Konzept der Messe als B2B-Plattform?

Generell wurden wir natürlich genau beobachtet. Wir haben aber ganz klar positives Feedback zur B2B-Fokussierung bekommen. Wir haben das Thema auch nicht kurzfristig geplant. Schon seit einigen Jahren hatten wir mit Partnern und Teilnehmerunternehmen über das Thema B2B-Fokussierung gesprochen, weil der Bedarf immer deutlicher kommuniziert wurde. In diesem Jahr war schliesslich der passende Moment, um tatsächlich die Veränderung im Konzept umzusetzen und uns definitiv auf die Zielgruppe B2B zu fokussieren. Das gibt natürlich Veränderungen und diese bedeuten erst einmal Neuplanung. Aber unter dem Strich zeigt sich, dass es genau die richtige Entscheidung war. Und ich bin sehr froh, dass wir daraus resultierend für das kommende Jahr sogar ein Wachstum verzeichnen dürfen. Wir haben viele Newcomer mit dabei, sowohl Fachbesucher wie auch Aussteller, und das zeigt, dass die Fokussierung auch einen Teil dazu beigetragen hat.

Der ITB Kongress 2023. © Messe Berlin GmbH

Was würden Sie als den grossen Vorteil der B2B-Herangehensweise beschreiben?

Zunächst einmal ist es kompakter, weil wir uns auf drei Tage beschränken und dabei den Fokus ganz klar auf B2B legen. Das bedeutet beispielsweise, dass die sehr aufwendigen Umbauten, die vor allem die Destinationsstände für das Wochenende hatten, entfallen. Gleichzeitig erübrigen sich auch die Wochenendarbeit und die personellen Ressourcen, die dafür eingesetzt wurden. Einer der grossen Vorteile ist zudem nach wie vor der Standort Berlin, der eine ganz tolle Strahlkraft hat. Am Donnerstagabend lässt sich jetzt noch der letzte Event geniessen und dann an einem verlängerten Wochenende ab Freitag die Stadt entdecken. Ich denke, das zahlt sich für alle aus.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial im Hinblick auf 2024, aber auch längerfristig?

Zunächst einmal stehen wir voll auf Kurswachstum. Gleichzeitig gibt es nach wie vor Nachholbedarf und auch Weiterentwicklungspotenzial im Bereich Digitalisierung. Ich denke, das betrifft unsere gesamte Branche, sowohl den Tourismus wie auch die Messebranche. Es gibt viele neue Konzepte, die durch die Corona-Pandemie aufgekommen sind. Damit müssen wir uns noch stärker auseinandersetzen und noch mehr digitale Services nutzen, um die Messeteilnahme effizienter, aber auch attraktiver zu gestalten. Denn wir haben es nach wie vor mit einer Industrie zu tun, die weltweit agiert. Diesen digitalen Zugang zur ITB gilt es zu nutzen, insbesondere für Unternehmen, die nicht anreisen können oder auch einfach nicht anreisen wollen. Hier haben wir auf jeden Fall noch viel Potenzial.

Welche digitalen Neuerungen erwarten die Besucher an der ITB Berlin 2024?

Wir beginnen mit kleinen Schritten, digitaler zu werden, und dies vor allem in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit und Teilnahmeeffizienz. So bieten wir neue Zusatzservices an, wie zum Beispiel die neuen Meetingtische für Fachbesucher. Die Nachfrage danach war immer sehr hoch, denn im Durchschnitt laufen die Besucherinnen und Besucher an der ITB 20 Kilometer. Da müssen die Füsse auch mal zur Ruhe kommen. An den buchbaren Tischen kann man kurz arbeiten, Pause machen, etwas essen oder auch Meetings abhalten. Dieses Angebot werden wir auch für Aussteller erweitern, die zum Beispiel nur Counter oder kleinere Pakete gebucht haben. Neu sollen Meetingräume direkt per App über QR-Code gebucht werden können, sodass man auch in einer privateren Atmosphäre Meetings abhalten kann. Zudem haben wir vor Kurzem ITB 360° gelauncht. Dieses Produkt soll der Tourismusbranche das ganze Jahr über zur Verfügung stehen und zwar in Form von Podcasts, Interviews und News-Artikeln.

Deborah Rothe trat im Januar 23 die Nachfolge von David Ruetz an. © Messe Berlin GmbH

Sie haben von einem klaren Wachstum gesprochen. Gibt es Nachhaltigkeitsbestrebungen, die in diesem Rahmen umgesetzt werden sollen?

Das ist eines der grössten Themen, das merke ich immer wieder. Natürlich können wir uns in der Messebranche davor nicht ducken und das werden wir auch nicht – weder als ITB Berlin noch als Messe Berlin. Wir haben hier schon seit einigen Jahren verschiedene Bestrebungen. Wir haben Berlins grösstes Solardach auf unseren Messedächern gebaut und feierten vor Kurzem dessen Kick-Off. Generell werden wir eine neue Nachhaltigkeitsstrategie aufsetzen, um in der Eventproduktion nachhaltiger werden. So verfolgen wir beispielsweise verschiedene Re-use-Konzepte und verwerten verschiedene Materialien bei den Veranstaltungen auf dem Gelände wieder.

Das Motto für 2024 lautet «#ITBTOGETHER»

Der grosse Claim der kommenden ITB ist «ITB together». In zweierlei Hinsicht ist es eine sehr schöne Art und Weise, unsere Marke zu spiegeln: Zum einen sind wir ja inzwischen nicht nur in Berlin, sondern mit der ITB Asia, ITB India und ITB China in der ganzen Welt unterwegs. Hier haben wir ganz klar die globale Markenfamilie «ITB together» reflektiert. Zum anderen zeigt das Motto auch die verbindende Rolle, die die ITB Berlin als Plattform für die Tourismusindustrie spielen soll. Von daher mag ich dieses Motto persönlich sehr gerne, weil es zeigt, dass wir nur gemeinsam als Branche unsere Industrie voranbringen können und wir auch nur gemeinsam diskutieren und neue Lösungen finden können.

Was sind die wichtigsten Schlagwörter für die ITB 2024?

«Together» findet sich auch im Kongressmotto wieder, «Pioneer the Transition in Travel & Tourism. Together», weil wir über Veränderungen sprechen. Und wenn wir über Veränderungen sprechen, tun wir das gerne auf der Bühne im Rahmen des ITB Berlin Kongresses. Zwei grosse Fokusthemen werden künstliche Intelligenz und Web 3.0. sein. Wie kann beispielsweise künstliche Intelligenz in der Tourismusindustrie noch weiter verankert werden und welche Lösungen können vielleicht auch für das persönliche Unternehmen adaptiert oder genutzt werden?

Welche weiteren Neuerungen wird es geben?

Wir haben in diesem Jahr unsere neue Foodhalle eröffnet, die sehr gut ankam. Deshalb werden wir sie jetzt grösser gestalten und weiter ausbauen. Dazu kommt natürlich der Oman als Gastland mit einem sehr vielfältigen Programm. Ich freue mich persönlich sehr darauf, gemeinsam die Eröffnungsveranstaltung zu gestalten. Hinzu kommt wie erwähnt ein gewisses Wachstum; wir haben fünf neue Hallen und hier zeigen sich auch ganz klare Trends. Unter anderem werden wir die Halle 10.1 hinzunehmen, die den Bereich Travel Technology präsentiert. Wir haben zudem unglaublich viele Newcomer, die mit dabei sind. Wir werden neu die Halle 8.2 und 10.2 für die europäischen Destinationen und für Business Travel und MICE haben sowie die Hallen 11.2 und 18, die jetzt wieder das Zuhause der nordischen Länder und des Baltikums werden. Auch die Destination China ist wieder zurück auf der ITB Berlin und wird die Halle 26 belegen.

Die Welt zu Besuch in Berlin. © Messe Berlin GmbH

Sie sprechen die neue Halle im MICE- und Geschäftsreisebereich an. Was gibt es Neues?

Wir führen das MICE-Segment schon seit vielen Jahren auf der ITB Berlin und in diesem Jahr erhält es in der Halle 8.2 ein neues Zuhause. Gleichzeitig wird der Bereich internationaler. Wir als Messeveranstalter kommen natürlich ebenfalls aus diesem Segment. In dem Bereich steckt noch sehr viel Potenzial und ich möchte dem unbedingt noch mehr eine Bühne bieten. Am Dienstag wird auch der MICE-Track wieder stattfinden, da freue ich mich persönlich sehr drauf. Wir Menschen lieben es, zusammenzukommen, Dinge zu zelebrieren und den persönlichen Austausch zu geniessen. Wo könnte man das besser gestalten als im MICE-Segment?

Welche Trends beobachten Sie im Bereich Business Travel?

Der Geschäftsreisetourismus erholt sich generell langsamer als der Leisure-Bereich. Das liegt aus meiner Sicht auch daran, dass wir hier grosse Veränderungen sehen. Beispielsweise beim grossen Thema Blended Travel beziehungsweise Workation, eines der grossen Schlagworte. Diese Entwicklungen werden ein Stück weit noch beschleunigt werden durch neue Generationen, die andere Forderungen stellen und andere Erwartungen an die neue Arbeitswelt haben. Und ich glaube, genau da liegt grosses Potenzial im Bereich Business Travel, weil wir hier einen Wandel vollziehen und die klassischen Geschäftsreisen vielleicht auch ein Stück weit zu einem Auslaufmodell werden. Das wird auch für uns spannend, denn das betrifft natürlich auch die Reise zur ITB Berlin. Wie schon vorgeschlagen, wird dann vielleicht der Trip zur ITB durch ein Wochenende in der Berliner Hauptstadt ergänzt.

Wo setzt die ITB strategisch den Fokus für die nächsten Jahre, um so erfolgreich zu bleiben?

Die grossen Themen werden Wachstum, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sein – einerseits als Veranstalter, andererseits aber auch als Themen, die wir auf die Bühne bringen werden. Wir arbeiten schon seit vielen Jahren mit diversen Verbänden zusammen, um das Thema Nachhaltigkeit noch weiter zu fördern. Auch bei den Gastländern stehen wir immer im Gespräch, auch dazu, wie die Nachhaltigkeitsstrategie der Länder aussieht. Wir bringen dieses Thema also vor Ort auf die Bühne und setzen es auch in den Gesprächen und in der Zusammenarbeit selbst um. Gleiches gilt für die Digitalisierung. Hier ist das grosse Wort «hybrid». Hybride Modelle stecken bei uns noch in den Kinderschuhen und hier wollen wir weiter ausbauen, um auch die ITB hybrider zu gestalten und den Zugang weltweit zu ermöglichen.

Wo sehen Sie in den nächsten paar Jahren die Herausforderungen und Chancen für Messen im Allgemeinen?

Aus meiner Sicht hat das Produkt Messe grosses Potenzial, durchlebt aber auch einen Wandel. Wir merken, dass Messen und Kongresse zunehmend eventisiert werden, dass sie festivalisiert werden. Das war ein grosser Trend in den letzten Jahren. Gleichzeitig habe ich mich auch sehr bewusst dazu entschieden, im Kern beim klassischen Messekonzept zu bleiben. Ich halte von dieser starken fachlichen Ausrichtung sehr viel. Man kommt vielleicht auch häufiger informeller zusammen, aber im Kern ist eine Messe oder ein Kongress eine fachliche Plattform und die braucht es, gerade in diesen Zeiten, wo wir viele neue Produkte entwickeln müssen. Und das möchte ich auf jeden Fall weiter vorantreiben, sodass wir auch dieses Produkt weiter in die Zukunft bringen.

Weshalb ist die ITB das «Must» 2024?

Aus meiner Sicht ist es der B2B-Place, wie wir es immer so schön sagen, um mit der Branche in Kontakt zu kommen – sowohl für Newcomer, um wirklich ein Netzwerk aufzubauen, als auch für jeden, der Teil dieses Netzwerkes ist, um Freunde, Bekannte und Geschäftspartner wiederzutreffen.

Worauf freuen Sie sich 2024 persönlich ganz besonders?

Ich freue mich einfach wieder auf den «Buzz» in den Hallen. Ich freue mich auf die Menschen, die vor Ort sind, und auf die Welt, die zu Besuch ist. Ich freue mich auf die Kulturen dieser Welt und dass wir auch im B2B-Kontext immer wieder Möglichkeiten finden, um die kleinen kulturellen Highlights in den Gängen oder auf den Bühnen zu präsentieren. Und das ist der Grund, wieso ich das gerne mache und wieso ich mich so sehr mit der ITB Berlin identifiziere. Von daher freue ich mich auf die Welt hier in Berlin.

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