«Nur Anschauen genügt nicht mehr»
Vom 11. bis 14. Mai fand in Zürich zum dritten Mal die Cycle Week statt. OK-Präsident Erwin Flury erklärt im Interview, wie sich der junge Event trotz Krisenzeit entfalten konnte.
Vom 11. bis 14. Mai fand in Zürich zum dritten Mal die Cycle Week statt. OK-Präsident Erwin Flury erklärt im Interview, wie sich der junge Event trotz Krisenzeit entfalten konnte.
Herr Flury, Messen werden zuweilen als «totgeweiht» bezeichnet. Zu Unrecht?
Konventionelle Messen in der ursprünglichen Form vielleicht. Bei unseren Veranstaltungen ist die Messe, die wir als «Expo» bezeichnen, ein Element unter vielen – wenn auch ein sehr wichtiges. Da immer mehr übers Internet läuft, möchten die Leute die Produkte live erleben, anfassen und testen können. Das ist eine riesige Chance.
Sie haben die Sportveranstaltung Freestyle.ch gegründet und sind schon lange im Eventbereich tätig. Müssten Ihrer Meinung nach auch Messen mehr auf Events und Erlebnis setzen?
Unbedingt! Uns war bereits 1995 klar, dass unser Publikum mehr als nur Produkte sehen möchte. Mit unserem Konzept wollten wir immer ein Erlebnis schaffen und die BesucherInnen in eine gute Stimmung versetzen. Sind sie in dieser Stimmung, nehmen sie die gezeigten Produkte viel aktiver wahr.
Die Pandemie bedeutete für einige Messen und Events das Aus. Sie hingegen gründeten in dieser Zeit die Cycle Week. Was waren die Beweggründe dafür?
Jede Krise birgt auch Chancen. Während viele VeranstalterInnen frustriert nach Lösungen gesucht haben, wie sie die Krise überstehen sollten, entwickelten wir ein Konzept für die Zukunft. Wir hatten Zeit zu überlegen, wie Veranstaltungen aussehen sollten, was die Bedürfnisse der BesucherInnen in Zukunft sein werden.
Was waren zu Beginn die grössten Herausforderungen bei diesem Event?
Der Veranstaltungsort ist das A und O. Er soll nicht nur passen, sondern die gewünschte Positionierung unterstreichen. Wir möchten den Markt erweitern und neue Leute zum Velofahren motivieren. Darum veranstalten wir das eigentliche Velofestival an der zentralsten Lage der Schweiz, direkt beim Hauptbahnhof Zürich. Mit dem «Campus» sprechen wir interessiertes Publikum an. Wir gehen dorthin, wo bestehende Infrastrukturen für Mountain-, Gravel- und Freestyle-BikerInnen sowie Rennvelo-FahrerInnen vorhanden sind. All dieses Veranstaltungsplätze benötigen neue Bewilligungen und Konzepte. Der Aufwand ist enorm, das Resultat aber auch.
Spürten Sie seitens Behörden und Politik genügend Unterstützung? Zuweilen hört man, neue Events auf die Beine zu stellen, sei zum Verzweifeln.
Gerade im Zentrum einer grossen Stadt sind die Herausforderungen gross. Wir haben viel Arbeit, da die Anforderungen in den letzten Jahren immer grösser wurden. Die Behörden bemühen sich aber auch aktiv, Lösungen zu finden, und die Politik unterstützt uns, wenn wir Neues ausprobieren möchten. Unsere Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich ist sehr gut.
Mittlerweile ist die Cycle Week das grösste Velofestival der Schweiz. Dabei geht es jedoch nicht nur darum, ein Velo auszuprobieren und zu kaufen, oder?
Das ist richtig. Wir bieten ein Rundumpaket mit Expo, Contests, Velotests und zahlreichen Mittmach-Möglichkeiten. Bei über 150 Workshops, Ausfahrten, Schnupperkursen und Vorträgen bieten wir ein spannendes, informatives und unterhaltendes Programm. Alle Velo-Interessierten werden etwas finden, das sie interessiert.
Was macht ein erfolgreicher Event im Jahr 2023 aus, was halten Sie für überholt und gestrig?
Da die BesucherInnen dank Internet vielfach bereits gut informiert zu einer Veranstaltung kommen, ist es wichtig, sie Produkte und Dienstleistungen erleben zu lassen – nur Anschauen genügt nicht mehr. Zudem hat die Digitalisierung, verstärkt durch die Pandemie, noch mehr an Bedeutung bei einer Veranstaltung gewonnen. Durch die verschiedensten neuen Möglichkeiten, zum Beispiel Social Media, können wir das Erlebte vor, während oder nach der nächsten Veranstaltung wiederum nutzen. Früher waren wir abhängig von Medienhäusern und deren Kanälen, heute können wir sehr viel selbst zur aktiven Distribution von Bildern und Texten beitragen – am besten kombiniert mit den klassischen Medienkanälen.
Von Street Food bis Live Konzerte – muss man heute einen Rundum-Event für jegliche Arten von Festivals und Events bieten, um bestehen zu können?
Das hängt stark von der Zielsetzung ab. Es kommt darauf an, ob sich der Event um das Velofahren in all seinen Facetten dreht, oder ob die Veranstaltung ein Velorennen in einer bestimmten Disziplin ist und somit auf ein klar definiertes Publikum zielt.
Im Velobereich herrscht eine unheimliche Dynamik. Wie wollen Sie diese vielschichtige Entwicklung innerhalb der Cycle Week abdecken?
Indem wir nicht mit- oder gar hinterherlaufen. Wir sind Teil der Bewegung und möchten diese im Rahmen unserer Möglichkeiten mitentwickeln und mitprägen.
Urbane Zentren werden immer mehr zu Velostädten. Ist der Konflikt mit AutofahrerInnen und FussgängerInnen da nicht vorprogrammiert?
Konflikte sind da, obwohl die meisten VelofahrerInnen auch AutofahrerInnen sind und AutofahrerInnen auch oft Velofahren. Wichtig sind Respekt und Verständnis für die anderen Verkehrsteilnehmenden. Die meisten Gehässigkeiten erlebe ich in den Kommentarspalten der Online-Medien und nicht auf der Strasse. Schade ist, dass Infrastrukturprojekte mit getrennten Velowegen und Autostrassen immer nur stark verzögert realisiert werden können.
Bewegungen wie die «Critical Mass» gehen insbesondere den einheimischen StädterInnen und GewerblerInnen mittlerweile enorm auf die Nerven. Wie stehen Sie zu dieser Bewegung?
Ich finde natürlich jede Bewegung gut, die Menschen zum Velofahren bringt. Die nicht organisierte Form der «Critical Mass» finde ich faszinierend. Eine solche Bewegung hat in einer grossen Stadt wie Zürich Platz.
Wie sehen Sie die ideale Velostadt in zehn Jahren? Und wo sehen Sie die Cycle Week?
Ich hoffe, dass viele Menschen jeden Alters und vor allem Kinder und Jugendliche vom «Velovirus» angesteckt werden. Wer mit Freude Velofährt, fährt sicher besser und lebt gesünder. In zehn Jahren wird das Strassennetz zugunsten der Velofahrenden ausgebaut, Kinder, Jugendliche und auch alle anderen bewegen sich sicher von A nach B. Der Respekt aller Verkehrsteilnehmenden füreinander ist da und der Mix an Verkehrsmitteln ist ausgewogen. Und die Cycle Week ist für alle Velofahrenden der Höhenpunkt des Jahres.