Nicht, dass Lausanne seine Kunstschätze bisher unter Verschluss gehalten hätte. Jetzt aber wartet die Stadt am Genfersee mit einem neuen Kunstquartier auf, das sich zu einem Kristallisationspunkt für Kunst- und Architekturbegeisterte aus dem In- und Ausland mausern dürfte. Denn kaum zu überbieten ist seine verkehrstechnisch optimale Lage im Bahnhofsareal.

Ein leuchtendes neues Kunstviertel

Das Kunstquartier «Plateforme 10», gebaut auf einem Teil des alten Bahnhofgeländes, besticht mit einem Ensemble an lichter und klarer Architektur und seinem einnehmend minimalistischen Charme. Das neue Viertel vereint in zwei Neubauten drei bisher im Stadtgebiet verstreute Museen und bietet weitere kleinere Ausstellungsräume in seitlichen Arkaden. Dazu kommen Konferenz- und Seminarräume, ebenso Restaurants und ein einladender Aussenraum zum Flanieren. Seit diesen Juni neben dem 2019 fertig gestellten kantonale Kunstmuseum (MCBA) auch das Museum für Design und Fotografie eröffnet wurde, ist das Areal in seinen Grundzügen vollendet – und zeigt mit zwei unterschiedlichen Baukörpern eine Platzgestaltung von verblüffender Harmonie. Linkerhand lässt die markant gerippte Backsteinfassade das mächtige Volumen des Kunstmuseums flirren, während am Ende des von einer Baumallee gesäumten Platzes die skulpturale Betonarchitektur des Design- und Fotomuseums einen hellen und strahlenden Akzent setzt und gleichzeitig den Raum abschliesst.

MCBA
© Nora Rupp

Der Genius Loci

Das Kunstmuseum, erbaut vom spanischen Architekten-Duo Barozzi Veiga, steht an der Stelle einer alten Lokremise. Als Reminiszenz an den Vorgängerbau findet sich im Foyer ein grosses Rundbogenfenster, das mit seiner breiten vorgelagerten Treppe massgeblich die fast schon sakrale Stimmung des blendend weissen Eingangsbereichs bestimmt – was für ein Aufgang zu den Sammlungs- und Ausstellungsräumen, die sich im Obergeschoss rechts und links erstrecken! Die Sammlung mit Werken von Gleyre über Hodler, Vallotton und Biéler bis zu Armleder und Mosset ist übrigens, wie auch der Espace Projet und der Espace Focus, durchgehend gratis zugänglich.

In den Räumen der temporären Ausstellungen zeigt auch das MCBA noch bis Ende September die auf alle drei Museen verteilte, den Genius Loci zelebrierende Eröffnungsausstellung «Zug Train Treno Tren» in einer sinnlich-verführerischen Umsetzung des Themas. Untermalt von Bahnhofsgeräuschen, die man fast schon als ortsgegeben wahrnimmt, sind futuristische Lokomotiven im Rausch der Geschwindigkeit zu sehen und magische Ansichten verwunschener Bahnstationen, ist die Erotik des Zugfahrens zu entdecken oder der leicht derangierte Zauber einer Modelleisenbahn – eine Eisenbahngeschichte in Bildern träumerischer Projektionen.

Plateform 10 Lausanne
© Matthieu Gafsou

Skulpturales Strahlen in Beton

Auch im Aussenraum vor dem Kunstmuseum ist mit der monumentalen Skulptur «La Crocodile» von Mosset/Veilhan die Geschichte des Ortes in Form einer Hommage an die legendäre Lok präsent, und verlassene Schienen führen über den Platz in Richtung des Design- und Fotomuseums der portugiesischen Architekten Manuel und Francisco Aires Mateus. Von einem gezackten Fensterband unterteilt, scheint der obere Teil des weissen Betonquaders über dem unteren wie leichthändig aufgesetzt zu schweben. Auch im Innern lässt sich die äussere Form ablesen – der Eingangsbereich wirkt mit seiner facettierten, kristallinen Decke in einer Spiegelung des Äusseren wie eine lichte Höhle, die in einer brückenartigen Konstruktion auf drei Pfeilern ruht. Über eine Treppe gelangt man im Obergeschoss ins Designmuseum (Mudac), im Untergeschoss, gedämpftes Licht bevorzugend, liegt das Fotomuseum (Photo Elysée). Auch sie beide widmen ihre Eröffnungsausstellungen der Eisenbahnvergangenheit des Orts.

Musée Mudac Lausanne
© Dominik Gehl

Zwei Schlösschen für die Kunst

Doch Lausanne bietet nicht nur mit dem brandneuen Museumsquartier bemerkenswerte Räume für Kunst – schon seit 1984 pilgern KunstliebhaberInnen in die Villa der Fondation de l’Hermitage, die inmitten eines Englischen Landschaftsgartens eine hochkarätige Gemäldesammlung, Wechselausstellungen und eine exzellente Kollektion chinesischen Porzellans beherbergt.

Keinesfalls verpassen sollte auch, wer in Lausanne auf den Spuren der vielen magischen Orte der Kunst wandelt, die Collection de l’Art Brut. Im Château de Beaulieu, einer Patrizierresidenz aus dem 18. Jahrhundert, betritt man eine Art entrückte Wunderwelt bei der Begegnung mit Kunstwerken, geschaffen von Autodidakten und Einzelgängern, oft auch Weggesperrten, Marginalisierten. Begründet wurde die Sammlung vom Künstler Jean  Dubuffet, der seine Sammlung 1971 der Stadt Lausanne übergab. Man darf nun hoffen, dass die Signalwirkung des neuen Kunstquartiers «Plateforme 10» auch den beiden anderen aussergewöhnlichen Ausstellungsorten in der Stadt zugutekommen wird – denn auch sie sind gut zu erreichen, notabene bei einem Stadtbummel, und es wäre schade, sich die Entdeckung der Schätze dieser Sammlungen entgehen zu lassen.

www.myvaud.ch