Barbra Albrecht, Leiterin des Switzerland Convention & Incentive Bureau, rechnet mit einem unglaublich harten Jahr für die Eventbranche. Sie ist aber überzeugt, dass nach überstandener Coronavirus-Krise nicht nur ein Professionalisierungsschub im digitalen Bereich sondern auch ein Nachholbedarf zu verzeichnen ist.

© Switzerland Tourism/Andre Meier

Interview: Theres Lagler

EventEmotion: Barbra Albrecht, Sie sind in der Geschäftsleitung von Schweiz Tourismus und leiten seit 20 Jahren das Switzerland Convention & Incentive Bureau SCIB. Haben Sie schon einmal eine Situation erlebt, die mit der momentanen Coronavirus-Pandemie vergleichbar ist?

Barbra Albrecht: Nein, eine solche Situation haben wir wirklich noch nie erlebt. Wir bewältigten in der Vergangenheit einige Krisen. Sowohl Wirtschaftskrisen wie auch die SARS-Epidemie von 2002/2003, die Auswirkungen auf die Event-Industrie hatte. Aber eine Krise, die weltweit alle Märkte praktisch gleichzeitig betrifft und so drastische Massnahmen erfordert ‒ das gab es bisher noch nie.

 

Praktisch täglich gehen Absagen von Veranstaltungen ein. Die internationale Tourismusbörse ITB Berlin ist dem Coronavirus ebenso zum Opfer gefallen wie die MICE-Messe IMEX in Frankfurt. Wie gestaltet sich Ihr Alltag im Büro?

Bei uns fingen die konkreten Auswirkungen an, als der Bundesrat Veranstaltungen über 1000 Personen untersagte. Das war weltweit in den Medien. In der Folge erkundigten sich Kunden, die mit uns zusammenarbeiten, was das für ihren Anlass bedeutet. Wir mussten uns zunächst einen Überblick verschaffen. Das war gar nicht so einfach, da es noch kantonale Bestimmungen gab, die weit restriktiver waren. Wir reagierten mit Information und Betreuung auf diese anspruchsvolle Situation. Gleichzeitig versuchen wir aber auch, Veranstaltungen und Kongresse für die nächsten Jahre zu akquirieren. Erst kürzlich ging eine Zusage für 2021 ein. Es wird ja auch eine Zeit nach dem Coronavirus geben.

 

Darf man wissen, um welchen Anlass es sich handelt?

Es ist eine Incentive-Reise aus China. Ein Automobil-Konzern hat sich für die Durchführung in der Schweiz entschieden. Meine Mitarbeiterin in China, die acht Wochen lang im Homeoffice war, konnte mir diese freudige Nachricht übermitteln. China war zuerst vom Coronavirus betroffen. Mittlerweile ist der grösste Schock vorbei. Es scheint langsam wieder Normalität einzukehren. Das ist ein Lichtblick in dieser Krise.

 

Ist es bereits möglich, das Ausmass des wirtschaftlichen Schadens für die Schweizer Veranstaltungsbranche zu beziffern?

Veranstaltungen, die über das Switzerland Convention & Incentive Bureau laufen, können wir monitoren. Das SCIB ist mit spezialisierten Mitarbeitern in insgesamt 14 Märkten tätig. Wir stellen zur Zeit zusammen, welche Anlässe abgesagt, verschoben oder durchgeführt wurden. Auf diese Weise kann der Ausfall hochgerechnet werden. Wir sind noch nicht ganz so weit. Generell lässt sich aber sagen, dass die ganze Eventbranche massiv betroffen ist. Die Coronavirus-Krise hat uns kurz vor dem Saisonstart der internationalen Konferenzen, Kongressen und Messen erwischt. Wäre das Ganze Ende Juni oder im November passiert, hätte es den Business-Event-Bereich weniger tangiert.

 

Konferenzzentren wie das Congress Center Basel versuchen mit Streamings und Live-Übertragungen Alternativen zu Grossveranstaltungen zu bieten. Wird die Coronavirus-Pandemie die Veranstaltungsformate nachhaltig verändern?

Ich denke, dass die Pandemie einen Professionalisierungsschub bei den virtuellen Möglichkeiten und den technischen Infrastrukturen nach sich ziehen wird. Aber es ist und bleibt ein Fakt: Wenn sich Menschen treffen, ist der persönliche Austausch am wichtigsten. Man lernt sich kennen, diskutiert zusammen, baut Vertrauen auf. Das kann nie und nimmer durch technische Mittel ersetzt werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen Nachholbedarf geben wird, sobald die Krise überstanden ist, und Strategien überarbeitet werden müssen.

 

Dieser Nachholeffekt wird aber den Verlust wohl nicht wettmachen…

Das geht im Tourismus halt nur beschränkt: Zimmer, die der Hotelier heute nicht verkauft, kann er nicht aufsparen und im nächsten Jahr doppelt verkaufen. Diese Logiernächte sind weg. Das kann man nicht aufholen. Dies gilt auch für die ganzen weiteren Umsätze die Business Events generieren wie Saalmieten, Catering und Technik. Aber wir müssen diese Krise jetzt durchstehen. Der Nachholbedarf wird gross sein, weil man sich lange nicht treffen konnte. Der gemeinsame Austausch und die Entwicklung von Ideen sind sowohl für Seminare wie auch für Wirtschafts- und Wissenschafts-Kongresse zentral.

 

Die Vorlaufzeit für die Organisation von grossen Verbandskongressen beträgt drei bis fünf Jahre. Laufen Ihre Akquisitionsbemühungen in diesem Bereich ganz normal weiter?

Eigentlich schon. Allerdings benötigen diese Arbeiten im Moment ein grosses Fingerspitzengefühl. Die Hochsaison der Verbandskongresse dauert von März bis Juni und von September bis Ende Oktober. Viele Organisatoren müssen zur Zeit entscheiden, was sie mit ihren Kongressen im Mai oder Juni machen. Absagen oder noch zuwarten? Das sind schwierige Prozesse. Gewisse Verbände finanzieren sich teilweise über diese Kongresse. Eine Absage stellt häufig eine finanzielle Herausforderung dar. Deshalb müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Aber es stimmt schon: Bei der Kongressaquisition sind wir zwei bis fünf Jahre voraus, und die Kongressplanung für 2021, 2022 und 2023 läuft weiter.

 

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wo steht die Schweiz in fünf Jahren im Meetingbereich?

Ich denke, dass wir das Jahr 2020 überstehen und dann so rasch wie möglich vergessen müssen. Es wird ein schwieriges Jahr für die Eventbranche und ihre Zulieferer. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir in fünf Jahren wieder auf dem Stand von 2019 sind. Das Jahr 2019 war hervorragend. Deshalb tut der Taucher jetzt auch so weh. In fünf Jahren sind wir aber sicher wieder auf diesem Niveau.

Hinweis: Lesen Sie das ausführliche Interview mit Barbra Albrecht zur Bedeutung des Kongresswesens in der Schweiz, zu neuen Infrastrukturbauten wie “The Circle” und Nachhaltigkeitsfragen in der Printausgabe der EventEmotion im August.